Seit 2020 hat die International Coach Federation eine neue Präsidentin, Frau Miglena Doneva-Doncheff. Die geborene Bulgarin, die auf eine Karriere als Spitzensportlerin zurückblickt, hat mit uns über aktuelle Herausforderungen im Coaching, Digitalisierung, internationale Trends und Ihre Ziele für den ICF in Österreich gesprochen. Die Fragen stellte die Gründerin des Leadership Institutes, Führungskräfte Coach Dr Judith Girschik.
Die International Coach Federation in Österreich
LSS: Sie sind seit 2020 Präsidentin des ICF Austria. Worin liegen die Aufgaben des ICF und welche Ziele verfolgen Sie in Österreich?
Miglena Doneva-Doncheff: Als die wichtigsten Aufgaben von ICF Austria sehe ich:
- Ein Bewusstsein in Österreich für professionelles Coaching und dessen Nutzen zu schaffen.
- Für Qualität im Coaching-Beruf in Österreich zu sorgen, dies etwa durch hohe ethische Standards und unabhängige Akkreditierungen.
- Aufbau eines Netzwerks von professionellen Coaches.
Unsere Ziele sind:
- Professionelle Exzellenz
- Förderung von professionellem Coaching in Österreich
- Die stärkste Marke/Brand sein
- Die Reichweite und den Einfluss von ICF Austria erweitern
Coaching und Corona
LSS: Während Ihrer ICF-Präsidentschaft wurden Sie von der Covid-19 Krise überrascht. Was bedeuten die aktuellen Entwicklungen für Coaches weltweit bzw. konkret für Coaches in Österreich? Und wie reagiert der ICF auf diese Situation?
Doneva-Doncheff: Wie für alle anderen Berufe und jedes Business ist die Situation für Coaches sehr dynamisch und herausfordernd. Um mit diesen Herausforderungen gut umgehen zu können, hat der ICF im Sommer die Studie „Covid und die Coaching-Industrie“ herausgebracht. Die Ergebnisse der Befragung von 8.939 Coach Practitioners weltweit zeigen:
- Die Prävalenz von Effekten, die von einzelnen Mitgliedern der Coaching-Branche erlebt werden.
- Die Auswirkungen der Pandemie auf wichtige Geschäftsindikatoren (d.h. Einkommen/Einnahmen aus dem Coaching, Honorar pro Stunde Coaching- Sitzung, Klienten und Wochenstunden).
- Veränderungen, die Coaches in ihren Geschäftspraktiken vorgenommen haben, sowohl in Bezug auf die Mischung der Dienstleistungen, die sie anbieten, als auch in Bezug darauf, wie sie mit Kunden interagieren.
- Perspektiven, wie sich die Coaching-Branche in den nächsten sechs Monaten verändern oder an die laufende Pandemie anpassen könnte.
- Die größten Hindernisse für die Coaching-Branche in den nächsten 12 Monaten.
Die Ergebnisse zeigen, dass es für manche Coaches positive Entwicklung gab (24% der Befragten), für viele aber waren die Folgen leider negativ (65% der Befragten). Bei den Restlichen gab es keine signifikanten Auswirkungen.
Man kann sich die Ergebnisse unter https://coachfederation.org/research/global-coaching-study im Detail kostenlos ansehen.
Coaching Digital
LSS: Die Corona-Pandemie hatte einen weltweiten Digitalisierungsschub zur Folge. Inwieweit betrifft das die Tätigkeit von Coaches und wie gehen sie mit der neuen Situation um?
Doneva-Doncheff: Angesichts der Situation ist der Digitalisierungsschub natürlich auch im Coaching deutlich spürbar. Meinen Beobachtungen nach haben sich die Coaches darauf eingelassen und die Lockdown-Zeit dafür genutzt, sich die notwendigen Kompetenzen anzueignen und sich mit unterschiedlichen Plattformen vertraut zu machen. Aus meiner Sicht waren die meisten flexibel und bereit, sich darauf einzustellen.
Internationale Trends im Coaching
LSS: Sehen Sie hier einen Unterschied zwischen internationalen und österreichischen Trends?
Doneva-Doncheff: Aus meiner Erfahrung sehe ich den Unterschied darin, dass außerhalb von Österreich Online- oder Telefon-Coaching seit vielen Jahren Normalität ist. Bei uns war das bisher weniger nachgefragt und wurde sogar für unmöglich gehalten. Jetzt hat sich die Situation geändert.
LSS: Viele Coaches bieten zunehmend Virtuelles- bzw. Online Coaching an. Sehen Sie diese Entwicklung überwiegend positiv oder mit Einschränkungen verbunden?
Doneva-Doncheff: Ich sehe die Entwicklung positiv, da ich selbst seit einigen Jahren Erfahrung damit habe. Virtuell zu arbeiten erweitert zudem die Möglichkeiten eines Coaches, Klienten zu finden.
Aus meiner Sicht gibt es ein paar Voraussetzungen, die notwendig sind, damit es gut funktioniert:
- Die Einstellung des Coaches und des Klienten – beide sollten sich au das digitale Format einlassen.
- Der Coach sollte sich mit der/den virtuellen Plattform/en auseinandersetzen und diese gut beherrschen.
- Der Coach sollte sich dessen bewusst werden, welche Fähigkeiten er/sie haben oder weiterentwickeln muss, damit er ein effektiver Partner im virtuellen Raum sein kann.
LSS: Apropos International: Sie stammen aus Bulgarien, sind also eine Art Expat. Was waren für Sie die großen Herausforderungen, als Sie nach Österreich gekommen sind ?
Doneva-Doncheff: Ich würde sagen, dass die größte Herausforderung die Sprache war. Ich kam zum Studieren nach Österreich und lernte ein Jahr lang Deutsch im Vorstudienlehrgang der Wiener Universitäten, da ich kein Deutsch sprach. Als der Vortragende bei meiner ersten WU-Vorlesung Wienerisch gesprochen hat, habe ich realisiert, dass ich das auch noch lernen muss.
Expats
LSS: Gerade Coaching für Expats, also internationale Manager, die von ihren Unternehmen nach Österreich entsandt werden, wird immer häufiger nachgefragt. Wie würden Sie – aus eigener Erfahrung – die Bedürfnisse dieser spezifischen Gruppe beschreiben?
Doneva-Doncheff: Aus Erfahrung nutzen die internationalen Manager Coaching für sehr unterschiedliche Themen. Was in meiner Praxis aber am häufigsten vorkam sind Themen im Zusammenhang mit den kulturellen Unterschieden und den Unterschieden im Führungsstil, da gilt in jedem Land etwas anderes.
Coaching und Sport
LSS: Coaching ist seit vielen Jahrzehnten eine anerkannte Disziplin in der Welt des Sports. Wie sehen Sie als Leistungssportlerin Parallelen und Unterschiede zwischen Sport- und Executive-Coaching?
Doneva-Doncheff: Hier ist es wichtig, Klarheit über die Begrifflichkeiten zu haben. Wenn mit Sport-Coach der Sport-Trainer gemeint ist, liegt für mich der Unterschied darin, dass sich der Sport-Coach auch stark inhaltlich einbringt und sein Wissen und Können weitergibt. Im Gegensatz dazu ist der professionelle Executive-Coach für den Rahmen des Coaching-Gesprächs / die Coaching-Beziehung zuständig und der Klient für die Inhalte.
Die Parallele sehe ich darin, dass sowohl der Sport-Coach als auch der Executive-Coach den Klienten dabei unterstützen, selbst das Ziel, das er/sie erreichen will, zu definieren und zu visualisieren. Beide haben die Fähigkeit, den/die Klienten/in dabei zu unterstützen, sich der wahren Motivatoren bewusst zu werden, warum ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll und wie sie die eigenen Ressourcen effektiv nutzen können, um das zu tun.
Wenn mit Sport-Coach ein professioneller Coach gemeint ist, der mit Sportlern arbeitet, gibt es keine Unterschiede.
ICF in der Zukunft
LSS: Was sind die nächsten Schritte, die wir uns vom ICF in den kommenden Monaten und Jahren erwarten dürfen?
Doneva-Doncheff: Seit 01.01.2020, so wie jedes fünfte Jahr, trat der neue Ethikkodex in Kraft. Seit letztem Jahr hat der Prozess für die Erneuerung der ICF Kernkompetenzen begonnen. Fast zwei Jahre lang haben über 2000 professionelle Coaches aus der ganzen Welt daran gearbeitet und die bestehenden elf Kernkompetenzen in acht Kompetenzen umgewandelt, damit diese der Coaching-Praxis weltweit besser entsprechen. Sie werden im Jahr 2021 eingeführt.
Seit diesem Jahr gibt es auch Veränderungen in der Struktur der globalen Organisation mit dem Ziel, effektiver und fokussierter an den Zielen der Organisation zu arbeiten. Daraus sind sechs Bereiche entstanden: ICF Thought Leadership, ICF Professional Coaches, ICF Fondation, ICF Credentials & Standards, ICF Coach Training, ICF Coaching in Organisationen.
ICF Österreich wird im Jahr 2021 den Fokus stärker auf zwei Themen legen: Coaching in Organisationen und Professionelle Exzellenz. Dazu bereiten wir eine Reihe von Veranstaltungen für Unternehmen vor. Wir möchten die Möglichkeiten aufzeigen, welchen Nutzen Coaching als Instrument und Mindset in diesen herausfordernden Zeiten bringt. Zusätzlich planen wir eine Masterclass-Reihe mit 8 verschiedenen Master Certified Coaches (MCC) aus der ganzen Welt. Der Fokus dabei liegt auf die neuen ICF Kernkompetenzen und wie sie in der Coaching-Praxis angewendet werden.
Darüber hinaus erwarten uns spannenden Projekte wie die Internationale Coaching Woche im Mai 2021, ICF Austria Mastermind, und unsere Veranstaltungsreihe Circle of Excellence.
LSS: Wir danken für das Gespräch.
Zur Person:
Miglena Doneva-Doncheff studierte Personalmanagement und Verhaltensorientiertes Management an der Wirtschaftsuniversität Wien, da sie immer Menschen in ihrer Entwicklung unterstützen wollte. Sie begann ihre Karriere vor 16 Jahren in der HR-Beratung und hat seither bedeutende Expertise und Erfahrung in der Identifikation und Entwicklung von Talenten aufgebaut. Sie absolvierte zwei Coaching-Ausbildungen und verfügt über eine Akkreditierung der International Coach Federation (ICF). Miglena unterstützt Leaders und Teams aus West-, Mittel- und Osteuropa, Asien und dem Nahen Osten dabei, auf die eigenen Ressourcen zuzugreifen, sie effektiv zu nutzen und so die beste Version von sich selbst zu werden. Als Präsidentin von ICF Österreich möchte sie einen Beitrag zur Professionalisierung und Qualitätssicherung im Coachingberuf leisten und das Bewusstsein dafür schärfen, wie professionelles Coaching funktioniert und was seine Vorteile sind.