Der Klang gelungener Führung: Der Dirigent und sein Orchester

Mai 20, 2022

Redaktion

Ein Beitrag von Florian Schönwiese zur Frage, was gute Führung mit einem großartigen Orchester zu tun hat.


Als Orchestermusiker habe ich viele Jahre in erfolgreichen, weltbekannten Orchestern mitgespielt und mit zahlreichen Dirigenten gearbeitet, darunter Sir Colin Davis, Gustavo Dudamel oder Nikolaus Harnoncourt. In seinem Orchester habe ich ca. 20 Jahre mit ihm gearbeitet.

Meine Motivation mich vorzubereiten und mit vollem Elan und Einsatz zu den Proben zu gehen, waren immer abhängig von:

  • den ausgewählten Musikstücken: reizt mich der „Inhalt“ unserer Arbeit?
  • der Bezahlung, die im freiberuflichen Umfeld stark variiert
  • dem Niveau des Orchesters, also auch dem Level der Herausforderung
  • den Aufführungsorten: ein Konzert im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins?
  • meinen Kolleg*innen
  • meinen persönlichenen Plänen

All das aber kann völlig in den Hintergrund rücken, wenn ich die Möglichkeit bekomme, mit einem Dirigenten oder einer Dirigentin zu arbeiten, die mich künstlerisch wie persönlich wirklich interessiert! Denn ich weiß, das Ergebnis dieser Zusammenarbeit kann gut und besonders werden! Wie mir jeder aktive Konzertbesucher bestätigen kann, verändert sich der Orchester-Klang, der Charakter eines Orchesters, mit dem Profil eines jeden Dirigenten – und das, obwohl ein Orchester sich maximal eine Woche mit einem Dirigenten auf ein Konzert vorbereitet!


Der Klang gelungener Führung

Dirigent dirigiert sein Orchester

Warum das so ist und was wir aus dieser kondensierten Beobachtung ableiten können, beschäftigt mich seit Jahrzehnten. Mit den Erkenntnissen daraus habe ich ein Konzept für Workshops entwickelt „The Sound of Leadership“, um Führungskräfte aus Wirtschaft, Sport und Wissenschaft weiterzuentwickeln.

Schon in meiner Studienzeit in London war ich begeistert von der Wirkung der verschiedenen Dirigent*innen auf uns Orchester-Musiker. Je nachdem welche Persönlichkeit vor uns stand, waren wir entweder konzentriert und voller Hingabe, oder aber undiszipliniert und widerständig! Solche Widerstände sind auch in Profi-Orchestern keine Seltenheit!

Früh schon habe ich mich damit beschäftigt, womit das zusammen hängen mag. Jahre später, als ich dann selber Kultur-Unternehmen leitete und im Rahmen meines MBA-Programmes in Kontakt mit Führungskräften aus der Privatwirtschaft kam, kristallisierte sich für mich langsam heraus:

Ein Symphonieorchester und sein Dirigent sind ein ideales Beispiel, um sich Abläufe, Haltungen und Werte erfolgreicher Führung anzuschauen, eine wunderbare Metapher eines High-Performance-Teams und effektiver Führung – theoretisch wie praktisch.

Es gibt zwei Grundvoraussetzungen, die einzigartig sind in unserer Welt der klassischen Musik:

– die Strukturen sind klar, Aufgabenbereiche genau geklärt, Hierarchien etabliert und die Rollen eindeutig verteilt – in allen Orchestern der Welt und seit über 200 Jahren. Die Situationen sind also gut vergleichbar und vor allem gibt es keine Ausrede: Erfolg hängt von den handelnden Personen ab! Wie in den meisten Bereichen der westlichen Welt setzen auch wir ein gewisses Niveau an Qualität und Kompetenz voraus, den Unterschied machen letztendlich die Werte und Haltungen.
– Musik passiert ausschließlich im Moment und stellt, wie jede Kunst, die Essenz des Mensch-Seins dar: daher ist die Wirkung der Führung unmittelbar und für jeden im Ergebnis sofort zu erleben und kann nicht hinausgezögert werden.


Nach besonders genauem Beobachten sowohl im Orchester sitzend, als auch als Leiter von zwei Unternehmen habe ich wichtige Aspekte erfolgreicher Führung formuliert, die ich die „Maestsro-Faktoren“ nenne – hier ein Auszug daraus:

# Vorbereitung: Vorgaben + Kreativität = Vision

Konzertvorbereitung - Beethoven_missa solemnis_HarnoncourtJede*r Dirigent*in, so wie jede andere Führungskraft, hat mit Vorgaben zu agieren. In unserer Welt sind sie extrem genau und klar notiert in der Partitur, also der vom Komponisten niedergeschriebenen Musik. Darin ist so exakt wie möglich festgehalten, was sich der Komponist vorgestellt hat: die genauen Besetzungen, die Tonhöhen, Lautstärken, die Geschwindigkeiten und viele, viele Details. Nun ist es am Dirigenten, für sich persönlich zu erarbeiten, was da wirklich hinter diesen schwarzen Punkten und Strichen am Papier steht, was sie bedeuten könnten, warum sie geschrieben wurden, wie die Grundstimmung sein mag, und vieles mehr. Denn ein reines Exekutieren wäre der Tod der Musik.

Zu diesem Behufe ist es notwendig, seinen eigenen, persönlichen Weg zur persönlichen Interpretation / Vision dieses Werkes zu entwickeln: durch Recherchen, Analysen, Beobachtungen, Gespräche – und vor allem durch ein In-Sich-Hinein-Hören. Und das ist nicht nur musikalisch gemeint. Jede Führungskraft muss, um überzeugen zu können, verinnerlicht haben, wofür er/sie steht, wohin es gehen soll, wie die Vision ist, was die dahinterstehenden Werte und Haltungen sind. Schlussendlich sehr persönliche, geradezu intime Aspekte. Klassische Musik kann Sie dabei unterstützen, die Klarheit Ihrer Werte, Visionen und Haltungen zu stärken. In einem unserer Workshops unterstützen wir Sie dabei und fokussieren uns auf diese „Innenschau“: „Listen & Lead – die Kunst des Zu-Hörens“.

Geht der / die Dirigent*in kreativ und offen an die Vorgaben der Komponisten heran, wird er mit der Zeit ein klares Bild, eine Interpretation oder Vision von dem Werk so weit verinnerlicht haben, dass er diese dann in der Proben-Arbeit jeder Zeit mit den „Angeboten“ des Orchesters vergleichen kann, um sie dementsprechend zu adaptieren, zu einem besonderen Ergebnis zu formen.

Übrigens: diese Vorbereitung ist einer der wichtigsten Arbeiten eines Dirigenten. Nikolaus Harnoncourt hat sich bis zu zwei Jahre mit einem Werk beschäftigt, bevor er begann mit uns zu arbeiten!


# Universale Kommunikation

Musik gilt zwar als internationale Sprache, sprechen können wir sie aber nicht. Um daher ihre Interpretation / die Vision vom kleinsten Detail bis hin zum großen Ganzen vermitteln zu können, müssen Dirigent*innen eine Metaebene der Kommunikation finden, die sowohl zu ihrem Persönlichkeitsprofil passt und gleichzeitig alle ach so unterschiedlichen Menschentypen im Orchester erreicht. Wie in jedem menschlichen System gibt es auch hier die ehrgeizigen, die temperamentvollen, die ruhigen, die, die den geringsten Widerstand suchen, diejenigen, die besonders begeistert sind von sich, und diejenigen die permanent an sich zweifeln.

Natürlich gibt es keine Regeln, wie Dirigent*innen mit uns kommunizieren. Die persönliche Art will entwickelt werden – und das braucht Zeit. Daher ist es auch so hilfreich, Dirigieren zu studieren und schon früh die Verantwortung in der Führung zu üben und zu erforschen. Und so gibt es dann Persönlichkeiten wie Claudio Abbado, die ruhig, wortkarg und bescheiden waren, Nikolaus Harnoncourt, der gerne, viel und begeistert redete, immer in Geschichten, Bildern und auf der Suche nach neuen Erkenntnissen, andere Dirigent*innen, die mit dem Humor spielen, ernsthafte und genaue und alle Kombinationen, Farben und Abstufungen.

Gemeinsam aber ist allen erfolgreichen Dirigent*innen, dass sie eine Sprache finden, die ihre inneren Überzeugungen und Visionen in Bildern, Geschichten und Metaphern vermitteln, die jeder Mensch versteht und unterstützen will.


# Persönlichkeit

Aus diesen großen Unterschieden ergibt sich auch, dass es keine role models gibt, wie man Orchester führen muss. Natürlich gibt es Traditionen, Techniken und Vorbilder, aber vorrangig muss man seine persönliche Art entwickeln, um das beste Ergebnis gemeinsam mit dem Orchester erreichen zu können. Mit dem Fokus auf Inhalt und Ziel, dem Respekt vor den Komponisten und den ausführenden Musikern und dem Bewusstsein der Rolle des Dirigenten entwickelt sich im Laufe von vielen Jahren das Profil einer Führungs-Persönlichkeit, die aus sich heraus überzeugt und das beste aus den Musikern herausholt.

Und hier kommt auch meine Definition von Leadership zu tragen:

Leadership is about making others better through your guidance and presence!

Genau diese Kombination von persönliche gefärbten Vorgaben (guidance) und einem klaren Rahmen (presence), um den Spezialisten den Raum zu geben, ihren wichtigen Beitrag zu leisten, gibt uns als Orchester die Möglichkeit, uns als Einheit weiter zu entwickeln.

In unserer Welt ist es so klar: der Dirigent klingt nicht! Es sind wir Musiker, die die Musik „machen“, aber wir brauchen unbedingt jemanden, der uns sagt, in welche Richtung es diesmal geht und der mit seiner Persönlichkeit das Endergebnis prägt.


# Nicht stören

So wichtig es ist, Energie ins Team zu geben, es anzutreiben, vorauszugehen etc., so wichtig ist es auch, von Zeit zu Zeit „Ruhe zu geben“! Manchmal brauchen die Spezialisten ihren Raum, den Fokus auf ihre Detail-Arbeit, die Möglichkeit selber aktiv zu werden! Auch bei uns im Orchester und auch in den Konzerten, in der Performance! Ein ungeübter Konzertbesucher mag es nicht sofort erkennen, aber oft wendet sich ein*e Dirigent*in geradezu ab von den Musiker-Kollegen, die ein Solo oder andere wichtige Beiträge im Orchester zu bewältigen haben, um sie nicht zu stören.

Zu wissen und zu spüren, wann das Team den Input braucht und wann man lieber nicht stört, ist die hohe Kunst!


# Üben und gemeinsame (Proben-)Strukturen

Foto: Claudia Jörg-Brosche

Wie Sie wissen üben wir Musiker zu Hause, proben gemeinsam mit unseren Kolleg*innen tagelang, und dann gibt es eine „kurze Performance“, das Konzert. Für uns Orchestermusiker ist unverständlich, dass man in anderen Bereichen permanent „performen“ muss. Wo sind die Zeiten und Räume, in denen in der Wirtschaft geübt und geprobt wird? Es gibt sie, oft aber nicht bewusst.

Ebenso wichtig wie das Üben zu Hause sind Proben-Zeiten: wir können maximal 1,5h am Stück konzentriert proben, denn unsere Arbeit ist hoch komplex, vielschichtig und fordernd. Nach spätestens 1,5h ist die Konzentration nicht mehr aufrecht zu halten, um gute Ergebnisse und Entwicklungen zu erreichen. Daher gibt es dann eine 20-minütige Pause, bevor es wieder weiter geht. Und in dieser Pause legen (fast) alle Kollegen ihre Instrumente weg und gehen aus dem Probenraum hinaus! Ein echtes Abschalten.

Nach den nächsten 1,5h gibt es eine längere (Mittags)Pause und dann gibt es nochmal 3h mit Pause. Mehr geht nicht – und das reicht auch! Wer mag und noch kann, wird sowieso zu Hause noch alleine üben.

Ähnliche Strukturen gibt es übrigens auch bei Mannschaftssport-Arten, ein Grund, warum unsere Arbeit mit Fußball-Trainern auch so gut funktioniert.

Zum Abschluss noch eine Empfehlung:

Unsere Welt der klassischen Musik ist die einzige, in der man Führungskräfte in ihrer Alltagsarbeit beobachten kann.

Von jedem großen Dirigenten / jeder erfolgreichen Dirigentin gibt es Videos von Proben mit Orchester, also der Arbeit mit dem Team von erfahrenen Spezialisten. Keine Führungskraft aus der Wirtschaft lässt sich in ihrer Alltags-Arbeit filmen, kein Fußballtrainer beobachten, wie er aus seinen Stars das beste herausholt. Die Dirigent*innen haben damit kein Problem. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sie wissen, dass ihre Arbeit sehr persönlich und speziell ist und sowieso nicht zu kopieren. Schmökern Sie ein wenig auf YouTube und lassen Sie Sich inspirieren!


Ein Beitrag von Florian Schönwiese

Zur Person: Florian Schönwiese

Florian Schönwiese – The Sound of Leadership Foto: Stefan Schweiger

Florian Schönwiese arbeitete mit vielen der wichtigsten Dirigenten unserer Zeit, von Nikolaus Harnoncourt bis zu Gustavo Dudamel. Er studierte Violine in Wien und in London. Seine Karriere begann er als freischaffender Musiker. Als Solist, Kammermusiker (zB Mitglied im Anton Webern Quartett) und Orchester-Musiker (fast 20 Jahre im Concentus Musicus Wien unter Nikolaus Harnoncourt, in der dt. Kammerphilharmonie Bremen,und  im Klang Forum Wien) bereiste der die ganze Welt und spielte in den wichtigsten internationalen Konzertsälen (von der Carnegy Hall in NYC bis zur Santori Hall in Tokyo).

Die Absolvierung eines MBA-Programms und die erfolgreiche Leítung zweier Unternehmen ließen ihn die Welt von Management und Orchester vereinen. Sein Trainings-Programm geht über traditionelles Führungskräfte-Coaching hinaus: Im Rahmen von The Sound of Leadership hält er Vorträge, Lectures und Workshops an international erfolgreiche Universitäten (Norwegian School of Economics, Aalto EE University in Helsinki und Universität St. Gallen) und bietet Unternehmen europaweit Aus- und Weiterbildungen an.

Gemeinsam mit seinen Musiker-Kollegen hat er mit über 700 Führungskräfte aus aller Welt (China, Singapur, Afghanistan, Europa, Südafrika, Brasilien, USA und Kanada) gearbeitet. Seine erfolgreiche internationale Karrriere als Geiger setzt er währenddessen ungehindert fort.

www.schoenwiese.net

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